„Ermittlungen in virtuellen Lebenswelten“ - Brandaktuelle Fachtagung an der Polizeiakademie Niedersachsen in Nienburg

Mit dem Thema „Ermittlungen in virtuellen Lebenswelten“ hat die Polizeiakademie Niedersachsen in Nienburg eine überaus aktuelle und mit hochkarätigen Referierenden besetzte Fachtagung ihren rund 180 Gästen geboten. Die 4. Rechtswissenschaftliche Tagung hat am 16. Juni 2016 ganztägig in Nienburg/Weser stattgefunden.

Der Direktor der Polizeiakademie Dieter Buskohl betonte bei seiner Begrüßung: „Eines der großen Themen, die die Polizei und somit auch die Polizeiakademie umtreibt, ist Cybercrime. Dieser schillernde Begriff wird meistens für Straftaten im Internet verwendet. Im Zentrum der heutigen Veranstaltung steht allerdings die Bekämpfung von Kriminalität mit Hilfe von Informationstechnologie.“ Buskohl führt weiter aus: „Wenn sich Straftäter der Informationstechnologie bedienen, dürfen staatliche Organe nicht in einen Zustand der Ohnmacht verfallen.“

Die Referierenden sprachen mit ihren Vorträgen die unterschiedlichen Dimensionen der Thematik an, bei der sowohl Rechtswissenschaft als auch polizeiliche Praxis unterschiedliche Standpunkte einnehmen können.

Ein Höhepunkt der Veranstaltung, war die Talkrunde am Schluss, in der das fachkundige Publikum und die Referierenden ihre unterschiedlichen Blickwinkel lebhaft diskutierten.

Durch die Veranstaltung führte der IT-Rechtsexperte Dr. Jan Roggenkamp, Professor an der Polizeiakademie.

Die Zitate und Grundaussagen der Referierenden können der nachstehenden Zusammenfassung entnommen werden.

Prof. Dr. Susanne Beck, Leibniz Universität Hannover, zu Ermittlungen in sozialen Netzwerken

„Die bestehenden Regelungen der StPO spiegeln die Wirklichkeit der sozialen Netzwerke nicht umfassend wieder – so ist eine Beobachtung im Internet nicht dasselbe wie eine Observation, ein Fake-Account bei Facebook nicht mit der Legende eines Verdeckten Ermittlers in der realen Welt vergleichbar. Insgesamt scheint deshalb eine Neuregelung für diese Fälle ratsam. Dabei sollte die Besonderheit sozialer Netzwerke berücksichtigt werden.“

Im Zentrum ihrer thematischen Auseinandersetzung stand entsprechend die Beschreibung der Schutzbereiche der verschiedenen, durch Internetermittlungen berührten Grundrechte einschließlich der Gewährleistung der Vertraulichkeit und des „Rechts auf Vergessenwerden“. Die bestehenden Regelungen zur längerfristigen Observation und zur Nutzung von Legenden bei Ermittlungen im Netz basieren hauptsächlich auf einem zeitlichen Kriterium, was auf ein Medium wie soziale Netzwerke, bei dem Informationen in Minutenschnelle zur Verfügung stehen, nicht passt. Ihre Empfehlung: Neuregelungen, die die Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausweiten, aber an die Gegebenheiten eines Web 2.0 anpassen.

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Dr. Antonio Esposito, Staatsanwalt, zu Öffentlichkeitsfahndung im Internet:

"Wie verträgt sich der Datenschutz im Strafverfahren mit polizeilichen Öffentlichkeitsfahndungen auf der "Datenkrake" Facebook. Diese und andere Fragen versucht die seit dem 1. März 2016 in Niedersachsen und zahlreichen anderen Bundesländern in Kraft getretene Anlage B zu den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren in den Griff zu bekommen. Mit Erfolg?"

Dr. Esposito gelang es mit praxisnahen Beispielen, die Vor- und Nachteile von Öffentlichkeitsfahndungen in Facebook herauszuarbeiten und in einen engen Bezug zu den neuen Regelungen in der RiStBV (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) zu stellen. So wurde deutlich, dass die Ermittlungsbehörden noch stärker über die Nutzungsbedingungen im Netz, die Wirkung solcher Kommunikation und die Erfolgsdauer der Maßnahmen reflektieren und bei der praktischen Arbeit berücksichtigen sollten.

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Dr. Frank Braun, Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, zur strafprozessualen Überwachung IP-basierter Datenströme:

„Bedenklich ist vor allem die Überwachung IP-basierter Datenströme. Hierbei kann auf das gesamte Internetnutzungsverhalten eines Beschuldigten zugegriffen werden (z. B. Up- und Downloads, Aufruf von Internetseiten, Internettelefonie, E-Mail-Verkehr, Nutzung sozialer Netzwerke und Suchmaschinen usw.). Derartige Maßnahmen sind mit einer unzulässigen Online-Durchsuchung gleichzusetzen und – entgegen derzeitiger Praxis – auf Grundlage der Strafprozessordnung nicht zu rechtfertigen.“

Die kritische Betrachtung der Anwendbarkeit der §§ 110a und b StPO im Zusammenhang mit der Überwachung z.B. von DSL-Anschlüssen im Zusammenhang mit der so genannten nicht-kommunikativen Kommunikation mündete in praktische Empfehlungen, wie die Ermittlungsbehörden im Rahmen der bestehenden Regelungen vorgehen können, um den hohen verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Beispiel aus der Rechtsprechung zur Online-Durchsuchung Rechnung tragen können.

Prof. Niko Härting, Rechtsanwalt, zu Vorratsdatenspeicherung:

„Man mag die Vorratsdatenspeicherung für sinnvoll und notwendig halten. Die Bundesregierung hat sich jedoch leider nicht die Mühe gemacht, dies in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise zu begründen.“

Dies wurde durch eine kritische Darstellung der Regelungen zu § 113 TKG und §§ 100 j und k StPO für das Auditorium nachvollziehbar gemacht.

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Kriminaloberkommissar Christian Pursche, Landeskriminalamt Niedersachsen, zur polizeilichen Praxis in Niedersachsen

„Die erfolgreichste Bekämpfungsform der Internetkriminalität ist die Prävention! Der Mensch muss das Netz und die Gefahren verstehen (lernen). Nicht das was man sieht, sondern das, was programmiert ist passiert beim Surfen und Agieren im Internet.“

RWT  
Das interessierte Auditorium, darunter Direktor Dieter Buskohl, Bundestagsabgeordnete Katja Keul und Polizeipräsident Michael Pientka

Artikel-Informationen

erstellt am:
20.06.2016
zuletzt aktualisiert am:
21.04.2020

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