Polizei im Umgang mit psychisch Erkrankten: Tagung an der Polizeiakademie Niedersachsen

Experten aus Polizei, Wissenschaft und Medizin diskutieren in Hann. Münden mit 200 Gästen


Hann. Münden - Interaktionen zwischen Polizeibeamtinnen und -beamten und Personen mit psychischen Erkrankungen oder Krisen können für beide Seiten herausfordernd und belastend sein. Regelmäßig führen solche Begegnungen zu Diskussionen über den Umgang der Polizei mit diesen Personen. Oft steht die Polizei dabei in der Kritik, nicht empathisch genug oder sogar eskalierend agiert zu haben.

Die am heutigen Mittwoch (08.11.2023) am Studienort Hann. Münden der Polizeiakademie Niedersachsen (PA NI) stattgefundene Tagung "Psychisch erkrankte Personen im Kontakt mit Polizei: Fokus und Perspektiven" hat für dieses besondere Thema einen Beitrag für die Polizeiarbeit geleistet. Expertinnen und Experten aus der Polizeipraxis sowie aus Psychologie, Rechtswissenschaft und Medizin schilderten ihre Erfahrungen und aktuelle wissenschaftliche Grundlagen zum Thema.

Die rund 200 Gäste wurden von Carsten Rose, Direktor der PA NI, begrüßt. „Selbst, wenn sich Polizistinnen und Polizisten an all die Empfehlungen halten, die sie im Studium oder in Fortbildungen vermittelt bekommen, kann es passieren, dass die Situation mit Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, aus den Fugen gerät. Viele dieser Menschen benötigen zu einem bestimmten Zeitpunkt polizeiliche Hilfe. Und wir als Polizei haben die große Verantwortung, in diesen Momenten angemessen zu reagieren und die Bedürfnisse und Würde dieser Menschen, wie die aller Menschen, zu respektieren“, sagte Rose während seiner Begrüßung und unterstrich damit die Herausforderung, der Polizistinnen und Polizisten tagtäglich in Bezug auf solche Kontaktsituationen begegnen.

Die Tagung bot die seltene Gelegenheit, dass Personen aus polizeilichen und nicht-polizeilichen Berufsfeldern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Austausch kommen. 9 Expertinnen und Experten beleuchteten in Vorträgen und thematischen Panels verschiedene Aspekte der Interaktionen zwischen Polizeibeamtinnen und -beamten und Personen mit psychischen Erkrankungen oder Krisen.

In einem ersten Panel ging es um die öffentliche Kritik an Polizeieinsätzen, aber auch um rechtliche Rahmenbedingungen und einsatzpraktische Aspekte. Dr. Richard Lemke (Dozent für Sozialwissenschaften an der PA NI) und Klas Weber (Dozent für Rechtswissenschaften an der PA NI) beleuchteten dabei insbesondere die akuten Einsatzsituationen, in denen körperliche Gefahren und Zeitdruck eine Rolle spielen und die dadurch für die ersteintreffenden Kräfte oft ein besonderes Potential für kritische Momente bieten. „Die Kritik besteht im Wesentlichen darin, dass Polizei hier deshalb unangemessen handelt, weil die mentalen Unfähigkeiten der Person in dieser Situation nicht erkannt wurden – also zum Beispiel mit Druck statt Ruhe gehandelt wurde“, erklärte Dr. Richard Lemke. Er ging unter anderem auch darauf ein, wie die mediale Kritik an der Polizei auch mit öffentlicher Meinung gegenüber psychisch erkrankten Personen in der Gesellschaft verwoben ist.

Anschließend folgten Vorträge aus Perspektive der Wissenschaft. Dr. Hans Peter Schmalzl (Zentraler Psychologischer Dienst der Bayerischen Polizei), Autor zahlreicher Fachartikel zum Thema, erläuterte aus psychologischer Sicht die spezifischen Gefahrenmomente und Handlungssituationen in polizeilichen Kontaktsituationen mit psychisch kranken Personen. Professorin Dr. Katharina Lorey (Hochschule für Polizei Baden-Württemberg) berichtete über ihre Erfahrungen und methodische Herangehensweisen in der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Ihr Vortrag wurde eingeleitet von Dr. Bernd Körber (Professor für Sozialwissenschaften an der PA NI) der unter dem Begriff „Zugewandtheit“ beschrieb, welche innere Haltung auf Seiten der Polizei maßgeblich für gelingende Interaktionen mit psychisch erkrankten bzw. auffälligen Personen ist.

Während des Nachmittagspanels standen schließlich solche Kontaktsituationen im Fokus, die nicht durch akute und erhebliche Gefahrenmomente, sondern eher durch strukturell wiederkehrende Begegnungen mit oft den gleichen und vor Ort schon bekannten Personen gekennzeichnet sind. Hierzu schilderten Thomas Bauersfeld (Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes Göttingen), Dr. Stefan Preuße (Asklepios Fachklinikum Göttingen) und Dr. Oliver Jitschin (Richter am Amtsgericht Göttingen) die Perspektiven ihrer jeweiligen Arbeitsfelder, die die polizeiliche Arbeit im Kontakt mit psychisch erkrankten und auffälligen Personen oft begleiten. Neben den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit schilderten sie auch Verbesserungspotential der Kooperationen und auch generell in der psychosozialen Versorgungssituation.

Der Fachtag schloss mit einem Abschlussgespräch, in dem Dr. Richard Lemke alle Beteiligten des Tages zu einem Fazit miteinander ins Gespräch brachte und den Raum für Fragen und Diskussionspunkte aus dem Publikum eröffnete.


Weitere Informationen

Das Thema „Interaktionen zwischen Polizeibeamtinnen und -beamten und Personen mit psychischen Erkrankungen oder Krisen“ ist an der Polizeiakademie Niedersachsen ein fest verankerter Bestandteil im Studium wie in der Fortbildung. So finden zum Beispiel interdisziplinäre Unterrichtseinheiten zur Thematik „Umgang mit besonderen Personengruppen“ statt. Diese Einheiten verknüpfen nach der Vermittlung theoretischer Inhalte zu Erkrankungsbildern und entsprechenden Umgangs- und Kommunikationsweisen die Anwendung dieser Erkenntnisse im Rahmen von Situationstrainings/Rollenspielen. Dies wird unter anderem auch dadurch gewährleistet, dass die theoretischen Inhalte in der Regel direkt vor den entsprechenden praktischen Lehrveranstaltungen stattfinden.

Die theoretischen Einheiten umfassen sechs Lehrveranstaltungsstunden und die praktische Umsetzung insgesamt zwölf Lehrveranstaltungsstunden im Kontaktstudium. Diese erfolgen sowohl theoretisch im Studiengebiet Sozialwissenschaften, als auch innerhalb eines festgelegten Programms im Team-Teaching mit den Einsatztrainerinnen und -trainern als praktische Übungen. Der Gesamtumfang beträgt drei Studientage.

 

Begrüßt die zahlreich erschienen Teilnehmenden der Tagung „Psychisch erkrankte Personen im Kontakt mit Polizei: Fokus und Perspektiven“: Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen.   Bildrechte: Polizeiakademie Niedersachsen
Begrüßt die zahlreich erschienen Teilnehmenden der Tagung „Psychisch erkrankte Personen im Kontakt mit Polizei: Fokus und Perspektiven“: Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen.
Diskutierten zum Abschluss mit den Teilnehmenden (v.l.n.r.): Erster Polizeihauptkommissar Klas Weber, Prof’in Dr. Katharina Lorey, Thomas Bauersfeld, Dr. Stefan Preuße, Dr. Oliver Jitschin sowie Dr. Richard Lemke als Moderator.  
Diskutierten zum Abschluss mit den Teilnehmenden (v.l.n.r.): Erster Polizeihauptkommissar Klas Weber, Prof’in Dr. Katharina Lorey, Thomas Bauersfeld, Dr. Stefan Preuße, Dr. Oliver Jitschin sowie Dr. Richard Lemke als Moderator.

Artikel-Informationen

erstellt am:
08.11.2023
zuletzt aktualisiert am:
25.01.2024

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