Interaktionen von Jugendlichen – Eine Studie zu jugendlichen Milieus und ihren Lebenswelten in urbanen Räumen

Prof. a.d.PA Steffen Zdun In Kooperation mit Prof. Andreas Zick, Universität Bielefeld


Hintergrund und Forschungsbedarfe:

Diese Studie handelt von den Interaktionen von Jugendlichen, die in urbanen, marginalisierten Stadtgebieten gemeinsam aufwachsen und sich auf unterschiedliche Weise in ihrem Sozialverhalten entwickeln. Deutliche Forschungslücken bestehen zu den Sozialisationskontexten. Hierbei geht es weniger um eine detaillierte Explorierung bestimmter Milieus, vielmehr stehen die sozialräumlichen Aushandlungen, Kontakte und Umgangsweisen im Fokus, zu denen es kommt, wenn miteinander vertraute Jugendliche darauf reagieren, wie ihre Peers sich verhalten und welchen Milieus sie sich anschließen.

Bislang konnten wir in Studien mit delinquenten und nicht-delinquenten Jugendlichen in solchen Wohngebieten dokumentieren, dass diese nicht nur eine vergleichbare soziale Ausgangslage teilten, sondern auch untereinander weitgehend bekannt waren, selbst wenn sie sich verschiedenen Milieus zuordneten, die der Stabilisierung und Auslotung der eigenen Identität dienten. Neue Erkenntnisse versprechen wir uns davon, diese Forschung auf Wohngebiete auszuweiten, in denen neben diesen beiden Milieus ein neosalafistisches besteht, dem sich ein Teil der Jugendlichen zuwendet. Dies dürfte weitere bzw. anders konnotierte Reaktions- und Verhaltensweisen zwischen jungen Menschen hervorrufen. Bei einer solchen Interaktionstriade ist im Gegensatz zu der von uns vorher erforschten -dyade von komplexeren Aushandlungsprozessen sowie Grenzüberschreitungen und Grenzgängen auszugehen. In den beiden vorgesehenen Städten der Untersuchung, die aus forschungsethischen wie datenschutzrechtlichen Gründen komplett anonymisiert sind, sind alle drei Milieus vertreten und ihre Mitglieder wachsen weitgehend gemeinsam auf.

Ziele:

Das Projekt soll die Interaktionstriade in zwei marginalisierten Wohngebieten empirisch untersuchen. Die komplexe Thematik erfordert die Anwendung eines aufwendigen Forschungsdesigns, das querschnittlich und multimethodisch angelegt ist. Neben theoretischem, empirischem und methodischem Innovationspotenzial ist von Erkenntnissen für Politik und Praxis auszugehen. Denkbar ist deshalb eine anschließende Vertiefung in Form eines DFG-Transferprojekts. Vor allem aber sollen die Ergebnisse auf internationaler Ebene publik gemacht werden, nicht zuletzt aufgrund des international ebenfalls mangelnden Forschungsstandes zu diesem Thema. Dies birgt Potenzial für hohen wissenschaftlichen Impact. Geplant sind neben englischsprachigen Publikationen und Fachvorträgen auf Konferenzen Kooperationen mit einschlägigen Fachleuten.

Fragestellungen:

Der vorgesehene multimethodische Ansatz beinhaltet insbesondere qualitative Elemente: Interviews von Jugendlichen aus den drei Milieus und von Expert*innen sowie teilnehmende Beobachtungen. Die Forschungsfragen folgen den Prinzipien qualitativer Forschung und sind daher offen formuliert:

1. Welchem Milieu gehören die Jugendlichen an, zu welchen zählten sie bereits? Wie und warum kommt es zu Grenz(überschreitungs)erfahrungen zwischen den Milieus? Wie entwickelt sich eine Milieubindung, und welche Relevanz spielen unterschiedliche Normen und -werte für das Verhalten im Sozialraum?

2. Wie steht es um die Verwobenheit und Anknüpfungspunkte zwischen den Milieus auf sozialräumlicher Ebene etwa in Form von früheren und aktuellen Kontakten sowie alltäglichen Interaktionen? Wie sehen diese konkret aus? Wo finden sie statt?

3. Wie gestalten sich die Kommunikationsformen und -praktiken zwischen den Milieus sowie deren Restriktionen und ggf. deren Ablehnung? Welche Formen (zumindest versuchter) Einflussnahme erfolgen zwischen den Milieus und mit welcher Absicht? Wie steht es um die Möglichkeit, dass sich Individuen, die sich aus einem Milieu zurückziehen, einem anderen anschließen können sowie dass es zu einer gezielten „Anwerbung“ durch ein anderes Milieu kommt?

Methode:

Es wird die klassische interaktionistische Soziologie mit dem aktuellen Ansatz der Symbolic Boundaries verknüpft. Mittels drei Analyseeinheiten werden die Interaktionen zwischen den drei Milieus sowie deren Einbettung im Sozialraum untersucht. Trotz getrennter Formulierung beschäftigt sich jede Analyseeinheit mit allen Seiten der Interaktionstriade und nicht nur mit jeweils einer.

Die drei Analyseeinheiten werden mit verschiedenen methodischen Ansätzen bearbeitet. Zum Einsatz kommen sollen in dieser Querschnittstudie 60 narrativ-biographische Interviews mit Jugendlichen und 10 Expert*inneninterviews sowie 12 problemzentrierte Interviews und 8 Gruppeninterviews mit Jugendlichen sowie teilnehmende Beobachtungen durchgeführt werden. Auf den ersten Blick ist dies eine hohe Anzahl, da die Interviews vollständig transkribiert und ausgewertet werden. Die Interviews werden allerdings nicht tiefenhermeneutisch, sondern inhaltsanalytisch mithilfe einer Textanalysesoftware ausgewertet. Der Arbeitsaufwand bei der Datenanalyse hält sich somit in einem Rahmen, der ausgehend von unserer Forschungserfahrung und aufgrund eingespielter Arbeitsroutinen zu bewältigen ist. Bei der Datenanalyse werden wir auf die qualitative Inhaltsanalyse und die rekonstruktive Fallanalyse zurückgreifen.


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