Internationaler Kurs zur Cold Case Analyse von polizeilichen und polizeinahen Bildungseinrichtungen und Fakultäten von Universitäten

Aufbau eines Internationalen Kurses zur Cold Case Analyse von polizeilichen und polizeinahen Bildungseinrichtungen und Fakultäten von Universitäten

Durch die Nutzung digitaler Lehrformate im Wahlpflichtkurs Cold Cases ab dem Jahr 2020 wurde im Dezember 2020 auf Initiative der Polizeiakademie unter dem Dach des Police Expert Network of Missing Persons (PEN MP), Amber Alert Europe und Locate International weltweit erstmalig eine Internationaler Kurs zu Cold Case Analysen von Bildungseinrichtungen zur Unterstützung der polizeilichen Praxis durchgeführt.

Hierbei handelte es sich um einen neuen Ansatz zur Ermittlung ungeklärter Fälle von vermissten, ermordeten und nicht identifizierten Personen. Dazu bringt es Studierende aus der ganzen Welt mit Polizeikräften zusammen, die diese Fälle gemeinsam untersuchen.

Im ersten internationalen Cold Case Kurs wurden unter Beteiligung von 44 Studierenden fünf britischer (University of South Wales, Leeds Beckett, Central Lancashire, Staffordshire, Winchester) und zwei australischer Universitäten (University of Murdoch und Newcastle) unter Leitung der Polizeiakademie Niedersachsen zwei niedersächsische Cold Cases in Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizeiinspektionen Verden und Osnabrück sowie den entsprechenden Staatsanwaltschaften analysiert.

Im Februar 2021 fand zur Gewinnung weiterer Partner ein weltweites Webinar des PEN MP unter Beteiligung der Polizeiakademie statt. An dieser Veranstaltung nahmen über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 31 Staaten teil.

Auf dieser Grundlage wurde von Mai bis September 2021 ein zweiter internationaler Cold Case Kurs durchgeführt mit über 80 Studierenden von zehn britischen, australischen und deutschen Universitäten in zwei weiteren Cold Cases.

Die erzielten Ergebnisse stellen sich als so positiv dar, dass dieses Projekt nach dem Wunsch des PEN MP innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU sowie interessierter Drittstaaten dauerhaft etabliert werden soll. Eine entsprechende Initiative wurde auf der PEN MP Konferenz im September 2021 in Ljubljana vorgestellt, um die internationale Cold Case Analyse im Rahmen der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft im Schwerpunkthema „Vermisste Personen“ zu etablieren.

Eine dritte Analyse des ICCAP wurde im Zeitraum Dezember 2021 begonnen. Mehr als 60 Studentinnen und Studenten von zehn britischen Universitäten bearbeiteten gemeinsam mit der australischen Murdoch University, der Polizeihochschule Zagreb und der Polizeiakademie Niedersachsen sechs ungeklärte Fälle von Säuglingen und Kindern. An den Analysen nehmen Bachelor-und Masterstudierende sowie Professor*innen und Dozent*innen von Polizeihochschulen und Universitäten der Fakultäten Psychology. Forensic Sciene, Criminology sowie Forensic Anthropology teil. Zielrichtung ist die Analyse eines Cold Cases und Vermisstenfalles aus dem Blickwinkel unterschiedlicher wissenschaftlicher Professionen mit dem aktuellen Wissensstand und die Generierung von neuen Ideen für die Ermittlungen.

Die Auswahl der Cold Cases dieses dritten ICCAP orientierte sich an den Beschlüssen des Europäischen Rates in einer sog. Council Conclusion von Dezember 2021 über die künftige polizeiliche Zusammenarbeit in Vermisstenfällen innerhalb der Europäischen Union. Aus diesem Grund wurden vier Tötungsdelikte an Kindern aus Niedersachsen analysiert, die zwischen 1988 und 2014 unmittelbar nach der Geburt getötet wurden (Neonatizide).

Zusätzlich zu den Cold-Case-Analysen erstellten die Studentinnen und Studenten unter der Leitung von Maureen Taylor von der Glasgow Caledonian University und Karsten Bettels von der Polizeiakademie Niedersachsen den Bericht „Analysis of Neonaticide Investigation" für die Polizeibehörden in Europa. Dieser basiert auf Erfahrungen und Ideen aus den analysierten Fällen und wurde mit aktuellen forensischen Untersuchungsmethoden für die Untersuchung anderer Cold Cases von Neugeborenen-Todesfällen ergänzt.

Das vierte ICCAP fand vom Juni bis September 2022 unter Mitwirkung von 85 Studierenden von acht britischen Universitäten gemeinsam mit der australischen Murdoch University, den deutschen Universitäten Bonn und Cottbus, der nordmazedonischen Universität Skopje, der französischen Gendarmerie, der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt, dem Bundeskriminalamt und der Polizeiakademie Niedersachsen. Bearbeitet wurden vier Cold Cases von Tötungsdelikten und Vermisstenfällen. Im Rahmen der Vorstellung der Ergebnisse bei den für diese Fälle zuständigen Ermittlern sowie Cold Case- und Vermisstenstellen aus Europa wurden auch weiterführende Vorschläge zu forensischen Fragen sowie zur Medienstrategien unterbreitet.

Ein fünftes ICCAP fand von Dezember 2022 bis April 2023 statt. Über 100 Studierende analysierten zehn ungeklärte Fälle aus Niedersachsen in drei verschiedenen Ermittlungskomplexen. Erstmals hat neben den bereits teilnehmenden Universitäten Bonn und Cottbus auch die Universität Köln mit ihrer rechtswissenschaftlichen Fakultät am ICCAP mitgewirkt. Neu vertreten war auch die österreichischen Universität Innsbruck und die französische Gendarmerie.

Das sechste ICCAP zu fünf Fällen von unbekannten Mordopfern wurde im Zeitraum Mai und September 2023 durchgeführt. Erstmalig ging es dabei um Fälle, bei denen die forensische Analyse und die Investigative Genetische Genealogie (IGG) zum Einsatz kommen.

Im Anschluss wurde das International Cold Case Analysis Project auf der Konferenz der weltweit größten Polizeiorganisation der Welt IACP in San Diego präsentiert und damit der Weg zu US-amerikanischen und kanadischen Bildungseinrichtungen bereitet.

Am aktuellen siebten ICCAP (November 2023 bis April 2024) beteiligten sich mittlerweile mehr als 200 Studierende aus Australien, den USA, Kanada und mehreren europäischen Staaten mit polizeilichen Bildungseinrichtungen sowie Universitäten. Der Schwerpunkt liegt auf drei Tötungsdelikte, u. a. eines mit Bezug zum Vereinigten Königreich mit einem männlichen schottischen Opfer, das in Deutschland gearbeitet hat, ein anderes mit einem weiblichen tschechischen Opfer, das in Deutschland getrampt ist.

Kontaktperson:

Seit Anfang 2024 ist Dr. Matthias Braasch Ansprechpartner für das ICCAP.

Telefon: + 49 (0) 5541/702-313

E-Mail: matthias.braasch@polizei.niedersachsen.de

Publikationen (Auswahl):

  • Bettels, Karsten: Cold-Case-Analysen an der Polizeiakademie Niedersachsen: Der Weg zum „Internationalen Cold Case Project“(ICCP). In: Polizei Info Report. 01/2022, S.10-13.

  • Bettels, Karsten; Grimstead, Dave; Allsop, Cheryl; Chaussée, Anna; Bolton-King, Rachel; Sturdy Colls, Caroline; Chapman, Brendan; Keatley, David; Tilley, Emma; Turner, Jo; Spence, Samantha & Marquardt, Annette: Finding the missing and unknown: Novel educational approaches to warming up cold cases. In: Science & Justice. 2022 Nov; 62(6), S. 749-757. Online: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36400496/

  • Marquardt, Annette & Bettels, Karsten: Cold-Case-Bearbeitung, Beschreiten neuer Wege in der Polizeiakademie Nienburg. Struktur des Nienburger – Modells. In: Der Kriminalist. 10/2018, S.22-29.

  • Stupperich, Alexandra; Bettels, Karsten & Marquardt, Annette: Cold Case Investigation in Educational Settings in Germany. In: Forensic Science Policy & Management. 8(1-2), 2017, S. 38-46. Online: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/19409044.2017.1343409

Weitere internationale Veröffentlichungen mit britischen und australischen Co-Autoren sind in Vorbereitung.

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